Klima verantwortlich!

Philippe Thalmann, Professor für Umweltökonomie an der EPFL und Mitglied des Beratenden Organes für Klimafragen des Bundes, beantwortet die wichtigsten Bedenken bezüglich des neuen CO2-Gesetzes

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"Das CO2-Gesetz nützt nichts, wenn China gleichzeitig immer mehr CO2 ausstosst"

Der Klimawandel, das ist wie ein grosser Rucksack, den wir unseren Kindern und Enkelkindern auf die Schultern binden und mit Steinen füllen. Je mehr Steine es schon drin hat, umso grösser die Last jedes zusätzlichen Steines. Das haben alle entwickelten Länder verstanden. Sie sehen auch die Vorteile der erneuerbaren Energien und der Elektrifizierung, so dass ihr CO2-Ausstoss sinkt, auch in den USA. Deshalb, und gerade weil China, Indien und andere grosse Verursacher wie die Schifffahrt und der Flugverkehr ihre Emissionen noch nicht reduzieren, zählt jede Tonne CO2.

 

"Das CO2-Gesetz bedeutet neue Steuern"

Es gibt keine einzige Steuer im CO2-Gesetz, dafür aber Abgaben. Der Unterschied ist, dass der Ertrag von Abgaben rückverteilt wird. Der Ertrag fliesst an die Bevölkerung über die Krankenkassen und an die Unternehmen über die AHV-Ausgleichskassen. Zudem können alle Finanzhilfe erhalten für Massnahmen, die ihren Treibhausgasausstoss mindern. Kein Geld fliesst in die Staatskasse.

Auch Abgaben gibt es im CO2-Gesetz nur drei: (1) die CO2-Abgabe auf fossile Brennstoffe (hauptsächlich Heizöl), die schon 2008 eingeführt wurde und auch im Fall einer Ablehnung des neuen CO2-Gesetzes weiterbestehen würde, sowie neu (2) eine Flugticketabgabe für Linienflüge, und (3) eine Pauschalabgabe pro Abflug  für andere Flüge, z.B. im Privatjet.

Die Flugticketabgabe wird von allen Passagieren bezahlt, die von einem Schweizer Flugplatz abheben, also auch der etwa Hälfte der Passagiere, die nicht in der Schweiz domiziliert sind und somit nicht von der Rückerverteilung profitieren können. Das hat zum Effekt, dass etwa gleich viel an die Schweizer Bevölkerung zurückfliesst wie sie bezahlt hat, obschon nur die Hälfte des Ertrages der Flugticketabgabe rückverteilt wird. Im Endeffekt zahlen nur Vielflieger mehr als sie zurückerhalten. Mit der anderen Hälfte des Ertrages wird den Fluggesellschaften geholfen, die Klimawirkung des Flugverkehrs zu vermindern.

 

"Mit dem CO2-Gesetz gibt es eine zusätzliche Steuer auf Benzin und Diesel"

Es gibt keine neue Steuer oder Abgabe auf Treibstoffe, nicht einmal eine Erhöhung. Was im bestehenden und neuen CO2-Gesetz enthalten ist, ist die Anforderung an die Importeure von Treibstoffen, einen Teil der Emissionen zu kompensieren, die bei der Verbrennung dieser Treibstoffe entstehen. Die Kosten dieser Kompensation decken sie durch einen Aufschlag auf den Benzin- und Dieselpreis. Aus politischen Gründen hat das Parlament den Aufschlag im aktuellen Gesetz auf 5 Rappen pro Liter beschränkt, und im Neuen auf 10 Rappen bis 2024, 12 Rappen danach. Heute beträgt der Aufschlag nur 1,5 Rappen/Liter.

Muss der Aufschlag zunehmen? Auf den ersten Blick schon, weil der Anteil der zu kompensierenden Emissionen steigen wird und die verfügbaren Kompensationsprojekte teurer werden. Andererseits wächst der Anteil von Elektrofahrzeugen sehr schnell, und damit nimmt der Verbrauch von Benzin und Diesel, den es zu kompensieren gibt, ab. Unter dem Strich sollte der Aufschlag etwa dortbleiben, wo er heute ist, also deutlich unter 10 Rappen.

  

"Das CO2-Gesetz ist unsozial, es besteuert vor allem die Armen"

Im Allgemeinen kaufen Menschen mit tiefem Einkommen viel weniger Heizöl, Benzin und Flugtickets als Menschen mit hohem Einkommen, weil sie in kleineren Wohnungen oder Häusern leben, bescheidenere Autos benutzen und viel seltener fliegen. Sie werden daher pro Person weniger zu den Einnahmen aus den verschiedenen im CO2-Gesetz vorgesehenen Lenkungsabgaben beitragen. Auf der anderen Seite erhält jede und jeder genau den gleichen Betrag, wenn diese Einnahmen an die Bevölkerung umverteilt werden. Daher sind es die Besserverdienenden, vor allem diejenigen, die nichts tun, um ihren Kohlenstoff-Fussabdruck zu reduzieren, die unter dem Strich am meisten zahlen werden.

 

"Das CO2-Gesetz belastet besonders die Landbewohnerinnen und -bewohner"

Die Merheit der Haushalte werden etwa gleich viel von den Abgaben rückerstattet erhalten, wie sie bezahlt haben. Familien profitieren besonders von der Rückverteilung, weil sie ja jedem gleich viel auszahlt, ob Erwachsen oder Kind. Haushalte, die ihren Heizölverbrauch nicht verringern können oder wollen, die weiterhin viel Treibstoff verbrauchen und viel fliegen werden, erhalten weniger zurück als sie zahlen. Diese Haushalte leben nicht unbedingt auf dem Land. Viele Stadtbewohner sind Vielflieger, viele Landbewohner haben auf Wärmepumpen und Fahrrad + ÖV umgestellt. Auch ausserhalb der Städte kann man so leben, dass man das Klima nur gering belastet.

Weniger Verbrauch von fossiler Energie, das bedeutet weniger Ölheizungen, weniger schwere Autos und Motorräder mit Verbrennungsmotor, weniger Starts und Landungen von Flugzeugen. Von der besseren Luft und vom verringerten Lärm profitieren alle, auch auf dem Land.

 

"Das CO2-Gesetz, das ist bloss eine grosse Geldumverteilung"

Die ganze Volkswirtschaft funktioniert durch Umverteilung: unser Konsumentengeld fliesst an die Unternehmen, die uns damit Löhne zahlen, die es uns ermöglichen, die von ihnen produzierten Güter zu kaufen.

Jahr für Jahr zahlen wir als Energieverbraucher um die 17 Milliarden Franken für die fossile Energie in der Form von Benzin, Diesel, Heizöl oder Erdgas. Davon fliessen etwa 7 Milliarden in die Staatkassen in Form von Steuern und Abgaben. Etwa 7 Milliarden fliessen ins Ausland, um diese Energie einzukaufen. Es bleiben 3 bis 4 Milliarden Franken, die in die Taschen der Intermediäre landen (Importeure, Verteiler), die kein Interesse haben, dass diese Umverteilung aufhört.

 

"Das CO2-Gesetz bedeutet massive Bürokratie"

Die wichtigsten Instrumente des CO2-Gesetzes sind äusserst schlank. Die Zollverwaltung erhebt die CO2-Abgabe an der Grenze, zusammen mit der bestehenden Mineralölsteuer. Die grossen Emittenten machen beim Europäischen Emissionshandel mit. Die Fluggesellschaften zahlen entweder 30, 60, 90 oder 120 Franken für jeden Passagier, je nach Destination und Flugklasse. Die Autoimporteure müssen zur Fahrzeugzulassung den Verbrauch sowieso angeben.

Kompliziert und bürokratisch wird es erst, wenn Sonderbehandlungen beantragt werden. So wollen die Treibstoffimporteure keine CO2-Abgabe zahlen, müssen dafür aber aufwendige Kompensationsprojekte auf die Beine stellen. Auch etwa 500 Unternehmen wollen die CO2-Abgabe auf Brennstoffe nicht zahlen, müssen dafür aber detailliert beweisen, dass sie alle Emissionsminderungsmassnahmen getroffen haben, die sie auch getroffen hätten, wenn sie die Abgabe zahlen müssten. Die Autoimporteure wollen die Emissionsgrenzwerte für neue Autos nicht einhalten und auch nicht die entsprechende Ersatzleistung zahlen, lassen sich also eine individuelle Zielvorgabe nach der Zusammensetzung der eingeführten Neuwagenflotte berechnen.

Es sind diese Schlupflöcher, die das Gesetz und seine Umsetzung verkomplizieren. Diejenigen, die sie geschaffen haben, werfen dem Gesetz nun vor, es sei zu bürokratisch.

 

"Das CO2-Gesetz schont die grössten Klimasünder"

Um das Gesetz durch das Parlament zu bringen, musste die Möglichkeit geschaffen werden, dass die klimaschädlichsten Unternehmen der Schweiz der CO2-Abgabe entgehen können. Im Gegenzug müssen sie am europäischen Markt für Emissionszertifikate teilnehmen oder nachweisen, dass sie ihre Emissionen so stark reduzieren, wie wenn sie die Abgabe zahlen müssten. Tatsächlich hat die Industrie ihre Emissionen bis 2006 nicht verringert, seitdem aber um 19 %. Das ist immer noch deutlich weniger als bei Gebäuden (Heizung und Warmwasser), die sich der CO2-Steuer nicht entziehen können und deren Emissionen seit 2006 um 32 % gesunken sind. Aber es ist besser als der Verkehr (-7% zwischen 2006 und 2019), der keiner Lenkungsabgabe unterliegt.

Dies zeigt, dass in Zukunft die Schonung der klimaschädlichsten Unternehmen in Frage gestellt werden muss. Die EU hat damit begonnen, und die Schweiz wird diesem Beispiel folgen müssen. Der Preis für Emissionszertifikate, der Masstab für diese Unternehmen, hat bereits 50 Euro pro Tonne CO2 überschritten.

Auch der Finanzsektor und Schweizer Unternehmen mit einem grossen Klima-Fußabdruck im Ausland, zum Beispiel in der Seefahrt, müssen mehr Verantwortung übernehmen. Der Prozess ist im Gange, aber er wird zum Stillstand kommen, wenn das CO2-Gesetz abgelehnt wird.


"Das CO2-Gesetz bedeutet staatliche Einmischung in die Wirtschaft"

Am Anfang der CO2-Gesetzgebung war vorgesehen, dass der gesamte Ertrag der Lenkungsabgabe auf CO2 an die Bevölkerung und Unternehmen zurückverteilt wird. 2010 wurde aber das Gebäudeprogramm eingeführt, mit dem die Kantone den Besitzern von Ein- und Mehrfamilienhäusern hilft, ihren Verbrauch von fossilen Brennstoffen zu verringern. Das Programm wird mit etwa einem Drittel des Ertrages der CO2-Abgabe finanziert.

Aufbauend auf dem Erfolg des Gebäudeprogramms hat das Parlament entschieden, die Förderung von Emissionsminderungsmassnahmen auszudehnen. So wird auch die Forschung nach Energiequellen und Energiesparmassnahmen gefördert, die Ausdehnung des Netzes von Ladestationen für Elektromobilität, sowie der Flugbranche geholfen, die Klimawirkung des Flugverkehrs zu vermindern. Dies wird alles im neuen Klimafonds gebündelt.

Grundsätzlich geht es darum, mit Abgaben die Emittenten zu Minderungsmassnahmen anzustacheln, und mit dem Klimafonds ihnen dabei zu helfen.



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